Warum Kultur für Christen unverzichtbar ist

C.S. Lewis› Essay «Christentum und Kultur» neu betrachtet

«An diesem Punkt kam mir ein Gedanke. Was wäre, wenn nicht nur moderne säkulare Menschen, sondern auch moderne Christen diesen Nutzen der Kultur nötig hätten? Weil sie eine helfende Hand brauchen, um aus ihrer kleinen, nahezu fensterlosen Höhle auszubrechen?»

In seinem Essay «Christentum und Kultur»1 denkt C.S. Lewis über die Bedeutung der Kultur für Christen nach, wobei er unter Kultur «intellektuelle und ästhetische Aktivitäten» versteht. Ausgehend von einer relativ nüchternen Sicht darauf, was Kultur für Christen bedeutet (nämlich hauptsächlich eine Quelle des Lebensunterhalts und des Vergnügens), hebt er am Ende ihre Rolle als Wegbereiter für das christliche Evangelium hervor. Ich nehme Lewis’ Ansatz als Ausgangspunkt, um drei Wege aufzuzeigen, wie Kultur auch für Christen unverzichtbar ist.

Kultur als Lehrmeister und Ausweg aus einem kleinen, fensterlosen Universum

Lewis ist der Ansicht, dass die Kultur für Ungläubige ein «Zuchtmeister» (“schoolmaster”) sein kann, um sie zum Glauben zu bringen: Indem sie Menschen mit den besten «sub-christlichen» Werten konfrontiert, kann sie deren Durst nach den höheren, christlichen Werten wecken: «Für den Menschen, der von unten kommt, kann das Ideal des Rittertums ein Lehrmeister für das Ideal des Märtyrertums sein.” 2 Aber zweitens kann die Kultur die Selbstgefälligkeit des modernen Menschen durchbrechen, der in der Enge seiner entzauberten Weltanschauung gefangen ist:

“Die Schwierigkeit, einen ungebildeten Menschen zu bekehren, liegt heutzutage in seiner Selbstgefälligkeit. Die populäre Wissenschaft, die Konventionen oder ‹Unkonventionen› seines unmittelbaren Umfelds, Parteiprogramme usw. schließen ihn in ein winziges, fensterloses Universum ein, das er für das einzig mögliche hält. Es gibt keine fernen Horizonte, keine Geheimnisse. Er glaubt, dass alles schon geregelt ist. Ein kultivierter Mensch hingegen ist sich fast zwangsläufig darüber im Klaren, dass die Realität sehr seltsam ist und dass die ultimative Wahrheit, was auch immer sie sein mag, die Merkmale der Fremdheit aufweisen muss – etwas sein muss, das dem Unkultivierten fern und fantastisch erscheinen würde. Damit sind einige Hindernisse für den Glauben bereits aus dem Weg geräumt.”

C.S. Lewis

Dies steht im Einklang mit dem biblischen Bericht: In seiner Botschaft an die Athener in Apostelgeschichte 17 zieht der Apostel Paulus die Kultur der Griechen, für die Darstellung des Evangeliums heran: Z.B. ihre Vorstellung von einem «unbekannten Gott» oder die Erkenntnis eines griechischen Dichters, dass wir alle in Gott «leben und unser Sein haben». Die alten Griechen glaubten jedoch an ein «verzaubertes» Universum und hatten ein echtes Schuldbewusstsein, wie Lewis an mehreren Stellen in anderen Aufsätzen darlegt. Wenn also die Kultur jenen Menschen geholfen hat, die empfänglicher für das Evangelium waren als heutige Menschen, dann brauchen erst recht (post-)moderne, naturalistisch geprägte Menschen eine kulturelle «Starthilfe».

An diesem Punkt kam mir ein Gedanke. Was wäre, wenn heutzutage nicht nur säkulare Menschen, sondern auch Christen diesen Nutzen von Kultur nötig hätten? Weil sie eine helfende Hand brauchen, um aus ihrer kleinen, nahezu fensterlosen Höhle auszubrechen? Auf den ersten Blick mag dies absurd erscheinen. Schließlich glauben Christen an das Übernatürliche; wie könnten sie da in einem «winzigen fensterlosen Universum» vegetieren? Aber selbst der Glaube an das Übernatürliche kann zu einer Ideologie werden, zu einer bloßen Behauptung, die keinen substanziellen Bezug zur Realität hat. Ist das in christlichen Kirchen nicht oft der Fall? Und ja, ich meine nicht nur «tote» Kirchen mit territorialer Mitgliedschaft, sondern auch freie protestantische Kirchen, bei denen die Mitgliedschaft eine Frage der persönlichen Entscheidung ist.

Sie werden vielleicht entgegnen: «Aber abgesehen von all ihren Unterschieden in Bezug auf Wunder und das Wirken des Heiligen Geistes haben diese Kirchen alle den Glauben an die Wirksamkeit des Gebets gemeinsam.» Schön und gut. Und doch, bedenken Sie, wie Lewis den modernen Menschen charakterisiert: «Es gibt keine fernen Horizonte, keine Geheimnisse. Er glaubt, dass alles schon geklärt ist.» Ist das nicht die implizite (sicherlich nicht die explizite) Haltung großer Teile des evangelikalen Christentums heutzutage? Um es mit einem Slogan zu sagen: Wenn «die Antwort auf jede Frage ‹Jesus› ist», wie ist das Christentum in dieser Hinsicht nicht einfach eine weitere durch und durch moderne, wenn auch religiöse Bewegung?

Ich habe die ersten Jahre meines christlichen Lebens in einigen Brüder-artigen Gemeinden verbracht, die trotz aller gegenteiligen Beteuerungen eine solche «Alles ist schon geklärt»-Mentalität hatten. Das hat mir nicht gut getan. Was mir jedoch half, zu wachsen, war Kultur: nicht zuletzt in Form der Bücher von Lewis. Ja, diese Bücher haben mir ungeheur viel Freude bereitet, aber ich wage zu behaupten, dass sie mich auch zu einem besseren Menschen gemacht haben. Lieber Jack, vielleicht hast du den Wert einer guten, christlich inspirierten Kultur unterschätzt!

Den Spielraum nutzen

Es gibt noch eine zweite Art und Weise wie Kultur für Christen von enormer Bedeutung ist.

Stellen Sie sich ein Fußballspiel vor. Es findet auf einem Feld statt, das Linien hat, die die Grenzen markieren, innerhalb derer gespielt werden darf. Natürlich ist es für jeden Fußballspieler wichtig, diese Linien zu kennen und sie zu respektieren. Aber natürlich geben sie ihm nur die allerrudimentärsten Informationen darüber, wie man gut Fußball spielt. Fußball finden zwischen den Linien statt. Und wie man das gestaltet, muss auf andere Weise als bloßes Befolgen der Regeln herausgefunden werden: im Wesentlichen durch eine Kombination von externen (die Anweisungen des Trainers oder ihre gegenseitige Kommunikation) und internen (der Instinkt und das Talent jedes einzelnen Spielers) Faktoren.

Ich sehe die biblischen Gebote in etwa so: Sie bilden den Rahmen dafür, wie man ein gutes Leben führt. Wie man diesen Rahmen mit Leben füllt, muss man auf andere Weise entdecken, natürlich unter Beachtung der Grenzen des Rahmens. Ein Spielzug im Fußball, bei dem ein Spieler im Abseits wartet, um den Ball zu erhalten und ihn dann nacheinander in den Sechzehnmeterraum flankt, wäre zu nichts gut. Ich glaube, das Versäumnis, die Rolle der Schrift im Glaubensleben auf diese Weise zu begreifen, ist ein Übel, das viele Kirchen heimsucht, die der Bibel eine zentrale Rolle für das kirchliche Leben zuschreiben (ein per se lobenswerter Ansatz).

Die gerade beschriebene Herangehensweise an die Schrift kann erklären, warum Lewis› Beobachtung, das Neue Testament sei «kalt» gegenüber der Kultur, einem hohen Wert der Kultur für Christen nicht im Wege stehen muss. Es ist «kalt», weil es davon ausgeht, dass die Menschen ohnehin kulturellen Aktivitäten nachgehen, und es kommentiert diese nur insoweit, als sie das geistliche Wachstum bedrohen (man denke nur an die Mahnungen des Paulus bezüglich «Philosophie» in Kolosser 2).

Kein kulturfreier Raum

Ein letzter Grund, warum Kultur für Christen unverzichtbar ist, ist, dass es keinen kulturfreien Raum gibt. Wo immer Menschen zusammenleben, wird eine Art von Kultur – intellektuelle und ästhetische Aktivität – entstehen, auch in Kirchen. Die Frage ist nur, ob es eine Kultur ist, die dem geistigen und moralischen Wachstum förderlich oder abträglich ist.

Christen erweisen sich selbst einen Bärendienst, wenn sie leugnen, dass Kirchen in irgendeinem Sinne eine «Kultur» haben, die mit der säkularen Kultur vergleichbar ist. Kultur im Sinne von Lewis – «intellektuelle und ästhetische Aktivität» – findet unbestreitbar auch in Kirchen statt, wobei der Schwerpunkt manchmal mehr auf dem ersten und manchmal mehr auf dem zweiten Aspekt liegt. Aber eine Kultur, die als nicht existent deklariert wird, ist einer Prüfung nicht zugänglich, denn es ist offensichtlich sinnlos, eine nicht existierende Sache zu prüfen. Das Ding, das fälschlicherweise als nicht existent deklariert wird, entfaltet jedoch trotzdem seine Wirkung, wenn auch unbemerkt. Kultur ist etwas, das die Menschen umgibt wie die Luft zum Atmen, und so nehmen sie sie auf Schritt und Tritt auf, und sie prägt ihr Wesen.

Das Ignorieren der Kultur ist besonders für Christen schädlich. Und zwar aus folgendem Grund: Christen neigen dazu zu glauben, dass alles, was in der Kirche geschieht, irgendwie von Gott bewirkt wird. Ein kurzer Moment des Nachdenkens zeigt, dass das nicht der Fall ist. Aber um zu unterscheiden, was von Gott kommt und was nur «Lehren von Menschen» sind, muss man zunächst eine Vorstellung davon haben, dass es so etwas wie eine kohärente geistig-ästhetische Welt gibt, die von Menschen in der Kirche geschaffen wurde. Ohne diese grundlegende Erkenntnis kann kein Christ jemals zwischen lediglich kulturellen und tatsächlich geistlichen (vom Heiligen Geist oder der Bibel inspirierten) Einflüssen unterscheiden. Die Folge ist Verwirrung: Manchmal wird die menschliche Kultur (z.B. Traditionen) für göttlich inspiriert gehalten, und manchmal wird Gottes Wort zur rein menschlichen Meinung degradiert.

Ich bin mir bewusst, dass in fast allen Kirchen Diskussionen darüber stattfinden, was nur Tradition und was biblische Wahrheit ist. Aber ich fürchte, dass das nicht ausreichen wird, solange die Idee besteht, dass man so etwas wie einen «rein biblischen» Glauben ohne kulturelle Elemente haben kann. Kultur ist sowieso präsent; also sollten wir ihre Existenz besser akzeptieren und zum Wohle aller gestalten.1

C.S. Lewis, “Christianity and Culture Pt. I”, in: Essay Collection & Other Short Pieces, Harper Collins, 2000

Image by Sandro Schuh / unsplash.com

2 Meine Übersetzung, wie auch für alle folgenden Zitate.Comments

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