“Entlang” und “darauf” sehen: die zwei Wege der Erkenntnis bei C.S. Lewis

In seinem kurzen Essay„Meditation in a Toolshed“[1] macht C.S. Lewis eine äusserst hilfreiche Unterscheidung zwischen den zwei fundamentalen Arten des Erkennens.

Er nennt sie[2] entlang von etwas sehen („looking along“) und auf etwas sehen („looking at“).

Sein einführendes Beispiel ist gleichzeitig der Ursprung dieser Formulierung. Er beschreibt, wie er in einem stockdunklen Werkzeugschuppen einen Lichtstrahl durch einen Spalt in der Tür fallen sieht. Zunächst sieht er den Lichtstrahl selbst; er sieht ihn an, sieht auf ihn. Dann positioniert er sich so, dass der Lichtstrahl in sein Auge fällt. Nun sieht er Dinge (Bäume etc.) durch ihn, er sieht entlang von ihm.

Sehen ist eine tief in unseren Sprachen verankerte Metapher für „verstehen“, „wissen“, oder zumindest „eine Überzeugung haben“. Eine plötzliche, bedeutsame Erkenntnis umschreiben wir mit „Mir ist ein Kronleuchter aufgegangen“. Im Englischen sagt man, wenn man etwas verstanden hat, „I see“. Sehr intelligente Personen werden auf Englisch als „bright“ oder „luminaries“, im Deutschen als „helle Köpfchen“ bezeichnet. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Der Punkt ist, den eben auch C.S. Lewis macht, dass wir unsere Erfahrungen des Auf-den-Lichtstrahl-Sehens und Entlang-des-Lichtstrahl-Sehens in ungewöhnlich direkter Art und Weise analog auf unser Verstehen übertragen können. „Auf etwas sehen“ ist dann das Verstehen eines Gegenstands einzig durch rationale Analyse, ohne dass direkte Erfahrung beteiligt ist. Der klassische wissenschaftliche Erkenntnisweg ist nichts als „looking at“ (aber dieses ist nicht auf Wissenschaft beschränkt, wie wir noch sehen werden). „Entlang von etwas sehen“ ist dann analog das Verstehen – oder sagen wir besser Kennenlernen – einer Sache oder Person durch direkte Erfahrung.

Lewis führt einige Beispiele an: etwa das eines jungen Mannes, der in eine Frau verliebt ist. Seine Erfahrung des Verliebtseins in diese Frau ist ein „Entlangsehen“; die Analyse des Neurophysiologen, der seine Gehirnaktivitäten während eines Gesprächs mit der jungen Dame und in deren Abwesenheit misst, ein Fall von „auf etwas sehen“.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die rein rationale Analyse des „Daraufsehens“ nicht, oder nicht notwendig, in Spannung oder gar Widerspruch steht zur direkten Erfahrung des „Entlangsehens“. Im zitierten Beispiel stellen die Erkenntnisse des Neurowissenschaftlers keine Widerlegung der goldenen Gefühle des jungen Mannes dar (bzw. eine Widerlegung läge erst dann vor, wenn bestimmte metaphysische Theorien wie eliminativer Materialismus oder reduktiver Physikalismus wahr wären); noch mehr, sie ergänzen sich problemlos zu einem harmonischen Gesamtbild (etwa, wenn Emotionen Eigenschaften der Seele sind, die durch Gehirnzustände verursacht werden und/oder ihrerseits Gehirnzustände auslösen).

Alle von Lewis aufgeführten Beispiele zeichnen den Kontrast zwischen den zwei Erkenntniswegen als den zwischen einer naturwissenschaftlichen Betrachtung und direkter, first-person Erfahrung. Das ist zweifellos richtig, geht mir aber nicht weit genug. Denn der Naturwissenschaftler und der junge Mann „sehen“ genau genommen gar nicht dieselbe Sache auf zwei verschiedene Arten – sie sehen zwei verschiedene Sachen. Erfahrungsqualitäten (in der Philosophie „Qualia“ genannt) lassen sich nicht von Gehirnzuständen ableiten oder aus ihnen bauen[3]. Wiewohl Erstere mit Letzteren zusammenhängen, sind sie doch ganz verschiedene Dinge. Mir scheint aber, und Lewis würde mir vermutlich zustimmen, dass man die zwei Erkenntniszugänge auch zu ein und derselben Sache haben kann. So etwa bei den jungen Turteltauben. Sie erfahren ihre psychischen Verliebtheitszustände aus erster Hand. Ein Psychologe könnte – sofern er an die Existenz von Geisteszuständen glaubt – genau diese Zustände beschreiben und analysieren, allerdings im Sinne von „looking at“ (er macht ja schliesslich nicht die Verliebtheits-Erfahrung).


[1] In: C.S. Lewis: God In The Dock. Essays On Theology And Ethics. Harper Collins 2014 (Epub-Version)

[2] Meine Übersetzung. Mir stand nur die englische Ausgabe zur Verfügung.

[3] Es gibt hierzu eine anhaltende Debatte in der Philosophie des Geistes. Mir scheint jedoch die Seite, die für die Irreduzibilität von Qualia argumentiert, das klar bessere Ende zu haben.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*