«Barbie» ist noch radikaler

Das Trojanische Pferd im Gerwig-Film ist nicht Feminismus.

Achtung: Spoiler voraus!

Warum „Barbie“ ansehen? Meine Zeit und mein Geld mit einem weiteren feministischen Machwerk zu verschwenden, daran lag mir nichts. (Wobei er gar kein ideologisches Machwerk sein dürfte, ist er doch jedenfalls in Deutschland bereits ab 6 Jahren freigegeben…).

Doch dann stieß ich auf Annie Brownell Crawfords hervorragenden Artikel, in dem sie argumentiert, dass der tiefste Abgrund in „Barbie“ nicht Männerfeindlichkeit ist, sondern ein radikaler Existentialismus. Das ließ mich aufhorchen. Und den Film dann doch ansehen.

Wie feministisch und männerfeindlich ist „Barbie“ wirklich? Stimmt Crawfords Analyse? Und was sagen andere Christen dazu?

Feministisch an der Oberfläche

Oft hört die Kritik, „Barbie“ sei zu woke. Abgesehen davon, dass mir schleierhaft ist, wie man irgendeinen Grad an Wokeness erträglich finden kann, ist Barbie eher klassisch feministisch als woke. Es geht um das Frauenbild, um Frauenrechte, um Matriarchat vs. Patriarchat. Die Indizien sind zunächst einmal klar. In der Eingangssequenz heißt es, die mit Babypuppen spielenden Mädchen sollten mal ihre Mutter fragen warum die anfängliche Freude am Kind irgendwann in Überdruss endet – als deutliches Zeichen dafür zerschmettern die Mädchen ihre Babypuppen, was Crawford sogar als Geste Richtung Abtreibung deutet. Mädchen können alles werden, das ist die Botschaft nicht nur des Intros, sondern des ganzen Films; so endet er auch, aber dazu später mehr.

Zum Feminismus gehört auch Männerfeindlichkeit, und davor strotzt der Film nur so. Ken ist nicht nur „überflüssig“ (O-Ton Barbie), sondern auch ein absoluter Volldepp. Er kann nur „Beach“; nicht einmal Wellenreiten kriegt er hin, und der einzige sinngebende Faktor in seinem Leben ist Barbies Aufmerksamkeit (von der er allerdings bestenfalls Brotkrumen abbekommt). Als sie in der realen Welt sind, setzt sich Barbie zum telepathischen Auffinden eines Mädchens hin (fast schon wie die Jedi in einer Clone Wars-Folge über den Aufenthaltsort der bedrohten machtsensitiven Kinder meditieren), während Ken „nicht nachdenken“ will und lieber plump nach der Bestätigung Ausschau halten geht, die ihm in Barbieland verwehrt blieb. Überhaupt sind die Männer echte Lachfiguren; so sehr, dass einem der Verdacht kommt, die karikative Überziehung trage eine Art Selbstkritik (mehr dazu im nächsten Abschnitt).

Ziemlich ohne doppelten Boden wird jedoch Feminismus gepredigt in der Ansprache von Sashas Mutter vor den „komischen Barbies“. Bei näherem Betrachten jedoch sind die dort beklagten Schwierigkeiten nicht spezifisch weiblich, sondern betreffen auch viele Männer in der heutigen westlichen Welt, wie Ryan Mullins in seinem Podcast herausstellt. Ich möchte hinzufügen, dass mindestens ein Teil jener Probleme – nicht nur für Frauen, sondern indirekt auch für Männer – durch den Feminismus verursacht wurden. Wer sagt denn, dass Frauen neben dem Muttersein auch noch Karriere machen müssen, wenn nicht Feministinnen?

Smarte Narrativ-Kritik?

Wie schon angedeutet, mag aber unter der allzu offensichtlichen Oberfläche eine smarte Kritik selbst des Feminismus-Narrativs stattfinden. Mullins z.B. weist darauf hin, dass Ken, entgegen seiner Erwartung, nicht einfach einen Job bekommt weil er ein Mann ist; er bräuchte eine geeignete Qualifikation, deren Berechtigung er allerdings mehrfach genervt in Frage stellt. Für mich ist somit nicht ganz klar, ob hier augenzwinkernd die Mär vom Vetternwirtschafts-Patriarchat auf die Schippe genommen wird, oder eben doch Männerbashing stattfindet. Immerhin gibt es ja die Männer, die ihre Jobs aufgrund erworbener Kompetenz haben. Ken ist somit wohl ein Archetyp einer Art idiotischer Männlichkeit, die es wohl leider gibt.

Eine relativ deutliche Kritik jedenfalls der feministischen Botschaft der Barbiepuppen liefert die Teenagerin Sasha. Barbies haben die Situation von Mädchen und Frauen nicht verbessert, sondern sogar schlimmer gemacht, sagt sie. Das Barbie-Schönheitsideal sei unerreichbar und sorge für Selbstabwertung. Das gehe so weit, dass nicht nur Männer, sondern sogar Frauen „Frauen hassen“. Es braucht kaum betont zu werden, dass dies wiederum eine lachhafte Übertreibung darstellt. Haben wir hier eine Narrativ-Selbstkritik durch Überziehung? Möglich. Ich frage mich nur, was am Ende bei den Kinobesucherinnen – und -besuchern – hängen bleibt. Aber dazu gleich mehr.

Noch ein letzter Hinweis auf feministische Selbstironie: die Barbies in Barbieland fallen dem chauvinistischen Machotum der bekehrten Kens mit lächerlicher Leichtigkeit zum Opfer. Sie identifizieren sich sogar mit ihrer neuen Rolle als Dummchen, Dienerin und „unverbindliche Fernbeziehung“. (Interessanterweise werden sie, anders als Barbie in der realen Welt, nie zum Sexobjekt degradiert). Der einzige Weg, sie von ihrer „Gehirnwäsche“ zu befreien, besteht dann darin, ihnen einen Crashkurs in kritischer Sozialtheorie zu verpassen. Wäre das ein akkurates Bild von Frauen, hieße es ja, dass diese nur dann so etwas wie Selbstbewusstsein entwickeln können, wenn man ihnen eine Ideologie injiziert – was die Frage aufwirft, wer denn nun wem die Gehirnwäsche verpasst.

Radikal existentialistisch in der Tiefe?

Nun, der Feminismus mag im Film ambivalent gewertet werden. Deshalb ist es, wie Crawford in ihrem Artikel argumentiert, entscheidend auf dessen Ende zu blicken. Das Ende enthüllt wie der im Verlauf der Geschichte gesponnene Konflikt aufgelöst wird. Hier hätte „Barbie“ einiges richtig machen und gleichzeitig die Unschärfe bezüglich Feminismus kollabieren können. Stattdessen endet der Film mit der Botschaft, mit der er angefangen hat, nur in einer radikaleren Version: du kannst werden, was du willst. Barbie wird von ihrer Erschafferin Ruth Handler gefragt, wie sie weitermachen möchte. Sie hat die Wahl, eine Puppe zu bleiben, oder aber eine echte Frau zu werden. Barbie entgegnet, dass sie nun jemand sein möchte, der erschafft, und nicht erschaffen wird; eine Schöpferin, statt ein Geschöpf.

Radikaler ist die Botschaft deshalb weil, während dieses Mantra am Anfang in Bezug auf Berufe und Berufungen ausgesprochen wird, dies nun für Identität in ihrer Ganzheit gilt; und weil nun nicht mehr nur Mädchen und Frauen, sondern auch Männer angesprochen werden. Ken wird gesagt, er solle sich nicht über eine Beziehung mit Barbie identifizieren, sondern völlig unabhängig von ihr (und offenbar auch von anderen Frauen oder Männern, denn die werden nicht als Alternative genannt) sein wahres Ich finden.

Das mag zunächst gar nicht so übel klingen. Ist es nicht tatsächlich ungesund, sein Glück in anderen Menschen zu suchen? Das stimmt schon, nur fürchte ich dass die Botschaft von „Barbie“ viel weiter geht. Die christliche Sicht betont dass, auch wenn wir unser ultimatives Glück nur in Gott und nicht in Menschen finden, zwischenmenschliche Beziehungen ein essenzieller Bestandteil unserer Existenz, und teilweise auch unserer Identität sind. Geschlechter sind es in jedem Fall (ja, auch in der Ewigkeit[1]!), und gewiss auch Geschlechterrollen, sofern sie intrinsisch mit dem Geschlecht verbunden sind (z.B. Mutterschaft und Vaterschaft). „Barbie“ predigt eine Selbstverwirklichung ohne Beziehungen, und damit ohne Liebe, wie Crawford scharfsinnig herausstellt. Barbies Philosophie ist somit eine Art Existenzialismus, deren Slogan l’existence précède l’essence (Sartrte) ist. Existenz geht der Essenz voraus. Man existiert zuerst (als eine Art weißes Blatt) und schreibt dann darauf seine Essenz, welche nicht von außen gegeben, sondern eben selbst erschaffen ist. Damit ist der Existenzialismus in krasser Opposition zum christlichen Weltbild.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die allerletzte Szene eine ist, in der sich Barbie beim Gynäkologen anmeldet (bedeutsam, da sie vor ihrer Menschwerdung keine Vagina hat). Das könnte ein Weg hinaus in die Natur der Essenzen sein. Aber diese, wiederum ambivalente Andeutung (Gerwig liebt offenbar Ambivalenzen) reicht nicht, um den Film zu „erlösen“.s

Sein Existenzialismus ist die perfideste Botschaft von „Barbie“. Während man sich über seine Darstellung von Frauen und Männern streiten kann, liegt hier ein so universeller, so lebensumspannender Gegenentwurf zum jüdisch-christlichen Weltbild (das das Abendland mehr als anderthalb Jahrtausende lang geprägt hat), dass Fragen der Ideologie dagegen wie Teenager-Streitigkeiten erscheinen. Um es deutlich zu machen: dieser radikale[2] Existenzialismus predigt eine Welt ohne Liebe, weil Liebe nur in Beziehungen funktioniert.

Ich muss zugeben, dass dieser Blick in die Tiefe nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Ohne Crawfords Hilfe hätte ich ihn nicht, oder nicht sofort hinbekommen. Wie sehen anderen christliche Medien die Sache?

Andere christliche Reaktionen auf „Barbie“

Christliche Medien im deutschsprachigen Raum sehen im Großen und Ganzen: nichts, worüber es sich zu schreiben lohnt. Ich konnte per Websuche nur diesen Artikel von livenet.ch sowie diese Videobotschaft einer Toggenburger Gemeinde finden. Der Artikel ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung der Aussagen von „Barbie“-Regisseurin Greta Gerwig über ihren eigenen Film und eines Artikels von Tola Doll Fisher, der lediglich beobachtet, dass Barbie auf ihrer Suche kurz vor Jesus Halt macht, und dass die Ansprache von America Ferreira (Sashas Mutter) von Jesus wohl begrüßt worden wäre. Die Videobotschaft wiederum stellt sich vor, was Jesus zu Barbie sagen würde: dass sie schön und geliebt und gewollt ist.

Es liegt mir fern, insbesondere den Inhalt der Videobotschaft in Frage zu stellen. Tatsächlich würde Barbies Sinnsuche ein erfülltes Ende finden, wenn sie diese Wahrheiten verinnerlichte. Dennoch bleibt die Frage, ob das alles ist, was Christen derzeit an intellektuellen Antworten auf so offensichtlich kulturprägende Faktoren wie „Barbie“ zu entgegnen haben.

Der Eindruck, der bleibt

Barbie ist ein intelligenter und handwerklich hervorragend gemachter Film. (Die Lacher, die Ryan Mullins während des Guckens hatte, blieben mir im Hals stecken, aber das mag persönlichkeitsbedingt sein). Aber hohe Qualität ist noch kein Garant für Tugend.

Seine Feminismuskritik mag subtil vorhanden sein; sein Existenzialismus ist es nicht. Letzterer wird wohl nur von geschulten Philosophen erkannt und nur von solchen, die noch nicht durch ihn verdorben worden sind, abgelehnt werden; alle anderen werden ihn aufnehmen wie ein Trojanisches Pferd. Erstere wird nach meiner Einschätzung an den allermeisten Kinobesuchern spurlos vorübergehen. Was den meisten bleiben wird, ist ein spaßiges Männerbashing mit einer guten Prise weiblicher Rache- und Intrigefantasien. Nicht gerade das, was man einen pädagogisch wertvollen Film nennen kann.


[1] Man sollte Jesu Aussage, dass die Heiligen im Himmel nicht mehr heiraten (Matthäus 22,30) nicht so verstehen, dass es dort keine Geschlechter mehr gibt. Dafür gibt es keinerlei Belege. Wer Schwierigkeiten hat, sich bei himmlischen Wesen Geschlechtlichkeit vorzustellen, der möge C.S. Lewis‘ Perelandra lesen, wo in meisterhafter Manier Engeln Geschlechtlichkeit zugeschrieben wird, wiewohl in anderer Manifestation als wir es bei Menschen gewöhnt sind.

[2] Ich spreche hier bewusst von einer radikalen Form des Existenzialismus. Ich bin mir dessen bewusst, dass die Urväter des Existenzialismus (Sartre, Camus, Heidegger) sich angesichts von „Barbie“ die Augen vor Verwunderung gerieben hätten. Oder sich im Grab umdrehen würden.

Bild: imbd.com

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